Was ist ein Clickdummy?
Ein Clickdummy (auch: Klickdummy, clickable prototype, klickbarer Prototyp) ist ein interaktives, aber funktionsarmes Modell einer digitalen Oberfläche – typisch für Websites, Web-Apps oder Mobile-Apps. Er simuliert Navigation, Zustandswechsel und zentrale Bedienabläufe, ohne Backend-Logik oder echte Daten. Ziel ist es, Strukturen, Nutzerflüsse und das Nutzungserleben realitätsnah zu erproben, belastbares Feedback einzuholen und Stakeholder zu alignen – lange bevor Implementierungskosten anfallen.

Ein Clickdummy ermöglicht die Visualisierung und Navigation durch eine Webseite, bevor sie vollständig entwickelt wird.
Einordnung im Human-Centered-Design (ISO 9241-210)
Im Human-Centered-Design (HCD) nach ISO 9241-210 werden Systeme iterativ entwickelt: Kontext verstehen → Anforderungen ableiten → Lösungen entwerfen → durch Prototypen evaluieren → Erkenntnisse zurückführen. Clickdummys sind dafür Kernartefakte: Sie ermöglichen frühe Evaluationen, ohne teuren Code zu schreiben. Das ist explizit im ISO-Standard (2019) verankert, der prototypische Evaluation als HCD-Aktivität beschreibt.
Warum früh testen? Die Nielsen Norman Group unterstreicht, dass Usability-Tests mit Prototypen essenziell sind, um Probleme zu entdecken, Chancen zu finden und Nutzerverhalten vor der Entwicklung zu verstehen – effizient auch als moderierte oder unmoderierte Studien.
Abgrenzung: Wireframe, Mockup, Prototyp
- Wireframe
Schematisches, statisches Strukturbild (Informationsarchitektur, Layout, Prioritäten). Ideal zur frühen Inhalts- und Navigationsklärung. - Mockup
Ausgestaltete visuelle Darstellung (Look), meist ohne Interaktivität. Dient der Ästhetik- und Markenprüfung. - Prototyp/Clickdummy
Interaktiv und dynamisch: simuliert Zustände, Übergänge, Bedienlogik – von Low- bis High-Fidelity.
Mehrere Übersichten – von Miro bis GeeksforGeeks und Justinmind – betonen: Wireframes = statisch/strukturorientiert, Prototypen = interaktiv/erlebnisorientiert; Mockups liegen dazwischen.
Fidelity (Detail- und Realitätsgrad)
Fidelity beschreibt, wie nah der Clickdummy dem späteren Produkt kommt – visuell, inhaltlich, verhaltensbezogen:
- Low-Fidelity (Lo-Fi)
Grob, schnell, oft monochrom; Kerngedanken & IA im Fokus. Eignet sich für frühe Ideen- und Navigationsfragen. - Mid-Fidelity
Erste visuelle Stile, realistischere User-Flows, einzelne Zustände (z. B. Error/Empty). - High-Fidelity (Hi-Fi)
Produktnahe Interaktionen und Mikroanimationen, finalere Optik; ideal kurz vor Umsetzungsfreigaben oder für realitätsnahe Usability-Tests.
Trade-off: Je höher die Fidelity, desto aufwendiger die Erstellung – dafür steigt Testrealismus. Praxishinweis: Over-Fidelity kann Testpersonen suggerieren, das Produkt sei „fertig“, was ehrliches Feedback hemmt. Starten Sie bewusst „rough“, wenn die Fragestellung eher konzeptionell ist.
Wofür Clickdummys konkret eingesetzt werden
- Hypothesen validieren (z. B. „Versteht man den neuen Checkout?“).
- Nutzerflüsse optimieren (Navigation, Task-Schritte, Rückwege, Fehlerpfade).
- Stakeholder-Alignment (gemeinsames, geteiltes Bild der Lösung – klickbar).
- Grobe Aufwands-/Scope-Schätzung für Entwicklung (Zustände/Edge-Cases sichtbar).
- Usability-Tests vor Implementierung (moderiert/unmoderiert, remote/vor Ort).
Bestandteile eines guten Clickdummys
- Screens & Zustände: Normal, Hover/Focus, Error, Empty, Loading, Success – genau diese „Zwischenzustände“ verursachen später häufig Reibung.
- Interaktionen: Hotspots, Trigger/Response-Muster, Übergänge (Timing/Easing), Overlays, Scroll-Bereiche. Figma erlaubt mehrere Flows pro Datei mit definierten Startpunkten; damit lassen sich Journeys sauber kapseln.
- Flows: Einstiegspunkte, Happy Paths, Alternate/Error Paths inkl. Zurück-Navigation.
- Kommentierung: Notizen/Annotations für Reviewer & Dev-Teams im Prototype Player (sh. z. B. Axure Prototype Player / Widget Notes).
Workflow: Von der Frage zum klickbaren Artefakt
- Ziele und Erfolgskriterien schärfen
Welche Nutzeraufgaben muss der Clickdummy abbilden? Welche Hypothesen prüfen Sie? - Kontext verstehen (HCD)
Zielgruppen, Nutzungsszenarien, Umgebungen (Mobil/Desk, Barrieren, Devices). Grundlage nach ISO 9241-210. - Umfang fokussieren
Priorisieren Sie entscheidende Journeys (Onboarding, Suche, Checkout), statt „alles“ zu prototypisieren. - Struktur klären (Wireframes)
Erst Informationsarchitektur, dann schrittweise Fidelity erhöhen. Frühe Wireframe-Tests erkennen grundlegende Usability-Risiken. - Clickdummy aufbauen
In Figma Flows/Startpunkte definieren, Zustände verbinden; bei komplexer Logik Axure (Events / Cases / Actions), für sensorische/fortgeschrittene Interaktionen ProtoPie (Triggers / Responses). - Interaktionen verfeinern
Übergänge, Easing/Delays, Overlays, Mikrointeraktionen; Interaktions-Spezifika dokumentieren (z. B. Interaction Recordings in ProtoPie für Dauer/Delay/Easing). - Heuristische Evaluation
Vor echten Nutzertests prüft ein Team die Oberfläche anhand Nielsen-Heuristiken – ein schneller Qualitätsfilter. - Usability-Test(s)
Moderiert/unmoderiert (remote/onsite) – Aufgaben klar formulieren, Metriken festlegen (Task-Success, Time-on-Task, Fehler). - Auswertung & Iteration
Erkenntnisse priorisieren und im nächsten Prototyp-Zyklus oder im Produkt-Backlog abbilden.
Metriken im Clickdummy-Testing (Auswahl)
- Task-Success-Rate (erfolgreich erledigte Aufgaben)
- Time-on-Task (Effizienz)
- Error-Rate / Critical Incidents (Stellen des Scheiterns)
- Path-Deviation (Abweichungen vom erwarteten Pfad)
- Qualitative Signale (Verbalisation, Unsicherheit, Blicksprünge)
Diese Größen sind Standard in Prototyp-Tests und helfen, Designentscheidungen dateninformiert zu treffen.
Stärken und sinnvolle Einsätze
Figma
Eignung
Universell von Low- bis High-Fidelity; stark für kollaboratives Arbeiten in verteilten Teams.
Besonderheiten
- Mehrere Flows pro Datei/Seite mit klaren Startpunkten
- Schnelles Verlinken von Frames, Overlays und Übergängen (Timing/Easing)
- Einfaches Sharing für Stakeholder-Reviews (Kommentar-Modus, Präsentations-Ansicht)
- Gute Lernressourcen und Vorlagen für gängige Muster
Typische Einsätze
Schnelle Iterationen, Team-Alignment, clickable Journeys für Research und Freigaben.
Adobe XD
Eignung
UI-Design und klickbares Prototyping für Web- und Mobile-Flows mit Schwerpunkt auf schneller Screen-Verknüpfung und visuell flüssigen Übergängen.
Besonderheiten
- Auto-Animate für weiche Transitionen zwischen Artboards (Position, Größe, Opazität, Pfade)
- Component States (z. B. Default/Hover/Pressed) zur Simulation häufiger UI-Zustände ohne Screen-Duplikate
- Repeat Grid für Listen/Grids mit Platzhalter-Daten – beschleunigt Content-Variationen
- Prototyp-Sharing inkl. Kommentar-Modus und Design Specs (Maße, Abstände, Farb-/Typo-Tokens) für das Dev-Handover
- Creative-Cloud-Einbindung (Assets/Icons aus Illustrator/Photoshop importieren), sowie Plugin-Ökosystem für Export/Automationen
Typische Einsätze
Schnelle Click-Flows für Validierung von Navigations- und Screen-Abfolgen, Marketing-/Produkt-Demos mit Auto-Animate, Dev-Handoff über Design-Spezifikationen ohne komplexe Logik.
Axure RP
Eignung
Prototyping mit komplexer Logik, Zustandsmaschinen und datennahen Simulationen.
Besonderheiten
- Events / Cases / Actions für konditionales Verhalten und verzweigte Flows
- Umfassende Aktionsbibliothek (Variablen, Repeater, dynamische Panels)
- Prototype Player mit Seitenstruktur, Notizen und Annotationen für Dev-Handoff
Typische Einsätze
Enterprise-Formulare, regelintensive Prozesse, umfangreiche Fehler-/Edge-Cases.
ProtoPie
Eignung
Fortgeschrittene Interaktionen, Sensorik, Voice und Mikrointeraktionen auf Geräte-Niveau.
Besonderheiten
- Trigger/Response-Modell für präzise Interaktionslogik
- Interaction Recordings (Dauer, Delay, Easing) als spezifikationsfähiger Hand-off
- Unterstützung für Gesten, Hardware-Sensoren und komplexe Zustandswechsel
Typische Einsätze
Realitätsnahe Demos für Mobile, Motion-Design, Validierung von Gesten- und Sensor-Interaktionen.
Framer
Eignung
Interaktive, animierte Prototypen mit starker Web-Nähe und Fokus auf Motion.
Besonderheiten
- Design-plus-Code-Denke, fluide Übergänge und Micro-Interactions
- Gute Guides/Tutorials für animierte Interfaces und schnelle Web-Mockups
Typische Einsätze
Marketing-/Produktseiten mit reichhaltigen Animationen, exploratives Motion-Prototyping.
Orientierung (Kurzfazit zur Tool-Landschaft)
- Figma: erste Wahl für breite Kollaboration und Tempo
- Adobe XD: sinnvoll, wenn Sie im Creative-Cloud-Ökosystem arbeiten und schnelle Click-Flows plus Auto-Animate benötigen, inklusive Design-Specs für das Handover
- Axure: stark bei Regel-/Statuskomplexität und konditionalem Verhalten
- ProtoPie: ideal, wenn Sensorik/Micro-Interactions entscheidend sind
- Framer: passend, wenn Animation und Web-Nähe im Vordergrund stehen
(Endgültige Tool-Wahl = Anforderungen × Team-Skills)
Barrierefreiheit (Accessibility) im Clickdummy
Prototypen sollten Zugänglichkeit früh mitdenken, sonst landen Design-Barrieren im Code. Der W3C definiert mit WCAG 2.x internationale Richtlinien; die POUR-Prinzipien – Perceivable, Operable, Understandable, Robust – sind die Leitplanken. WCAG 2.2 ist der aktuelle Stand der 2.x-Linie; die Inhalte sind auch in WAI-Ressourcen strukturiert aufbereitet.
Für Clickdummys heißt das konkret:
- Tastaturwege abbilden (nicht nur Maus/Touch), Fokus-Reihenfolge sichtbar machen.
- Zustände (Hover/Focus/Error) klar unterscheidbar gestalten.
- Komponenten so modellieren, dass sie den POUR-Prinzipien folgen – spätestens bei Hi-Fi-Prototypen.
- Auf WAI-Tutorials und Best-Practice-Guides zurückgreifen (Formulare, Menüs, Tabellen, Carousels etc.).
Hinweis: WCAG 2.0 ist auch ISO/IEC 40500 – die Verankerung unterstreicht die Relevanz, Accessibility bereits in der Prototyping-Phase mitzudenken.
Ergänzend liefern praxisnahe Beiträge (z. B. UXPin) konkrete Handgriffe zum Accessible Prototyping – von Kontrast-Checks über Screenreader-Flows bis zu Tastaturtests.
Mobile, Desktop & Responsive Prototyping
- Breakpoints planen und kritische Aufgaben auf Haupt-Viewports testen (z. B. Suche/Checkout/Anmeldung).
- In Figma lassen sich separate Flows für Mobile/Desktop anlegen und individuell teilen.
- Mobile-Spezifika (Gesten, virtuelle Tastaturen, System-Overlays) und Desktop-Spezifika (Hover, Tastaturkürzel) jeweils simulieren.
Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden
- Zu großer Scope
Alles prototypisieren zu wollen, verlangsamt die Lernkurve. → Kern-Journeys priorisieren. - Over-Polishing
Zu „fertig“ wirkende Clickdummys hemmen offenes Feedback. → Fidelity passend zur Fragestellung wählen; bewusst „unfertig“ beginnen. - Fehlende Zustände
Error/Empty/Loading fehlen – genau diese Lücken schlagen im Betrieb zu Buche. → Zustände komplett modellieren. - Ohne Heuristik-Check in Tests
Offensichtliche Usability-Verstöße hätten früher auffallen können. → Heuristische Evaluation vorab. - Keine Accessibility-Überlegungen
Kontraste/Fokus fehlen, Tastaturfluss unklar. → WCAG-Basics schon im Prototyp berücksichtigen.
Best-Practice-Checkliste (kompakt)
- Ziel, Hypothesen, Metriken definieren (Welche Fragen soll der Clickdummy beantworten?).
- Kontext & Aufgaben nach klären (Personas, Szenarien, Rahmenbedingungen).
- Fidelity passend wählen (Lo-Fi für Struktur, Hi-Fi für Interaktionsdetails).
- Flows sauber abstecken (Startpunkte, Happy/Alternate/Error Paths).
- Zustände vollständig modellieren (Focus/Hover/Error/Empty/Loading).
- Interaktionen dokumentieren (Timing, Easing, Regeln).
- Heuristik-Review vor Nutzer:innen-Tests.
- Usability-Testing moderiert/unmoderiert mit klaren Aufgaben & Erfolgsmaßen.
- Accessibility früh mitdenken (WCAG-Prinzipien, Tastaturpfade, Kontrast).
- Iteration und Priorisierung der Erkenntnisse konsequent umsetzen.
Mini-Leitfaden: Den „richtigen“ Realitätsgrad finden
- Frühe Konzept- oder Navigationsfragen → Lo-Fi reicht meist, um schnell zu iterieren.
- Interaktions-Design & Mikroverhalten (Transitions, Gesten, Validierungen) → Mid/Hi-Fi zweckmäßig.
- Freigaben/Fundraising/Demos → Hi-Fi, aber bewusst nicht „überperfekt“, damit kritisches Feedback weiterhin entsteht.
FAQ
Ist ein Clickdummy eine „echte“ Website/App?
Nein. Er simuliert Interaktion & Zustände, ohne Business-Logik/Daten. Genau das ist der Nutzen: früh testen, spät bauen – Risiken minimieren.
Welche Fidelity ist „richtig“?
Die, die Ihre Fragestellung beantwortet: Lo-Fi für Struktur/Navi, Hi-Fi für Interaktionsdetails/Realismus. Achten Sie auf Over-Fidelity-Effekte.
Wie passt das zu Standards?
Clickdummys sind HCD-Bausteine nach ISO 9241-210; WCAG/POUR sollten früh mitgedacht werden, damit Barrieren nicht in den Code wandern.
Wie teste ich effizient?
Mit klaren Aufgaben, passenden Metriken und dem richtigen Testmodus (moderiert/unmoderiert, remote/vor Ort).
Fazit
Ein Clickdummy ist das Schlüsselartefakt, um Nutzerflüsse und Interaktionen vor der Entwicklung realitätsnah zu prüfen, Stakeholder zu synchronisieren und Fehlentwicklungen früh zu vermeiden. Im Sinne des Human-Centered-Designs (ISO 9241-210) lernen Teams iterativ – von der Kontextanalyse über klickbare Prototypen bis zur Evaluation. Wer Fidelity zielgerichtet wählt, Accessibility (WCAG/POUR) bereits im Prototyp berücksichtigt, heuristisch vorprüft und systematisch testet, schafft aus einem „schönen Klickmodell“ einen entscheidungsfähigen Prototyp, der Zeit, Budget und Risiko spart.